Das Steinzeitbaby im modernen Zeitalter

Hast du gewusst, dass ein Baby noch immer die gleichen Anlagen, Reflexe und Urbedürfnisse besitzt, wie wenn es in der Steinzeit zur Welt gekommen wäre? Inspiriert vom Buch "auf der Suche nach dem verlorenen Glück" von Jean Liedloff gehen wir in diesem Beitrag speziell auf die Bedeutung des Babytragens sowie auch auf weitere Bausteine in der artgerechten und bindungsorientierten Babypflege ein.

Wenn wir auf die gesamte Entwicklungszeit des Menschen zurückblicken, verbrachte der Mensch den grössten Teil seiner Stammesgeschichte als Jäger und Sammler. Die Altsteinzeit begann vor 2.5 Millionen Jahren und die Jungsteinzeit endete vor ungefähr 5000 Jahren. Die Entwicklung zur modernen Gesellschaft, so wie wir sie heute kennen, macht nur einen kleinen Bruchteil der gesamten Entwicklungszeit aus. Die Evolution des Menschen schaffte es dabei kaum, sich der modernen Welt anzupassen. Noch heute ist unser Verhaltensmuster dem der Jäger und Sammler angepasst, die in kleinen sozialen Gruppen im Einklang mit der Natur lebten.

Die Autorin Jean Liedloff schrieb im Jahr 1975 das Buch "auf der Suche nach dem verlorenen Glück", nachdem sie mehrere Expeditionen zum indigenen Volk Yequana in Venezuela absolvierte. Die Lebensweise der Naturvölker ähnelt sehr deren in der Steinzeit. Sie leben im Einklang mit der Natur, ohne grossen Einfluss der modernen Welt, fernab von Druck und Hektik und ständigem Bestreben nach Aufmerksamkeit und Bestätigung, so wie wir es in unserer heutigen Gesellschaft kennen. Jean Liedloff fiel sofort auf, dass die Yequana-Eltern ihre Neugeborenen ständig tragen. Sie nehmen die Babys überall hin mit und gehen ihrer gewohnten Arbeit nach. Grundsätzlich sind die Kinder immer bei den täglichen Arbeiten mit dabei und helfen mit, ohne dabei im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie stellte fest, dass es dort keine quengelnden oder sogar trotzigen Kinder gibt. Nach ihrer Erkenntnis, beruht diese Ausgeglichenheit der Kinder, ja sogar der Erwachsenen, zu einem grossen Teil auf der Tatsache, dass das Urbedürfnis nach Sicherheit bereits in den ersten Lebenswochen durch das permanente Tragen gestillt wird und die Kinder dadurch kaum ein Aufmerksamkeitsdefizit entwickeln.

Babys sind Traglinge

Die Natur hat es so vorgesehen, dass ein Baby getragen wird bis es sicher selbstständig laufen kann. Menschen sind weder Nestflüchter noch Nesthocker. Wir sind Traglinge, was sich beispielsweise an der reflexartigen Anhock-Spreiz-Haltung erkennen lässt, die das Baby instinktiv einnimmt, wenn man es hochhebt. Der Spreizwinkel entspricht in etwa der Grösse unserer Hüfte.

Auf ganz eindrückliche Weise beschreibt Jean Liedloff in ihrem Buch, wie es sich für ein Baby in der modernen Welt anfühlen muss, wenn es keinen Körperkontakt spüren kann, weil es in seinem eigenen Zimmer und Bettchen liegt. Ihre Schlussfolgerung daraus ist, dass diese Erfahrung des unerfüllten Verlangens sich sehr stark einprägt und sich im späteren Leben als ausgeprägtes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit widerspiegelt - eine Erscheinung unserer modernen Welt. Denn das gab es weder in der Steinzeit, noch heute in Naturvölkern. Der sehr autoritäre Erziehungsstil, der zum Zeitpunkt, als Jean Liedloff ihr Buch schrieb, in den meisten Familien der westlichen Welt die Realität war, soll aus ihrer Sicht ebenfalls massgeblich daran beteiligt sein.

Heute wissen wir, dass unmittelbares Reagieren auf Schreien oder Wimmern und die prompte Befriedigung der Grundbedürfnisse unserer Babys, sei es beim Hunger, Müdigkeit, Nähe, Unwohlsein oder auch beim Ausscheidebedürfnis, kein Zeichen von Verweichlichung ist und schon gar nichts mit Verwöhnen zu tun hat.

Das Kind viel am Körper zu tragen, stillt direkt mehrere dieser Grundbedürfnisse und trägt dazu bei, unerfüllte Bedürfnisse schneller zu erkennen. Eine wunderbare Entlastung im Alltag ist es, das Kind viel auf dem Rücken zu tragen. So hat es Körperkontakt, kann mehr sehen und selbst hat man die Hände frei für gewohnte Arbeiten und entlastet die Rücken- und Beckenmuskulatur.

Bausteine für den bindungsorientierten Umgang mit dem Baby

Co-Sleeping
Ein Steinzeitbaby schlief keinesfalls irgendwo alleine, denn das war viel zu gefährlich. Die Eltern schliefen in unmittelbarer Nähe ihrer Kinder, meist mit Körperkonstakt. Natürlich kann man die Schlafenszeiten der Steinzeitmenschen nicht mit unseren heutigen Gewohnheiten vergleichen, denn unser Alltag ist von Weckern und Terminen geprägt. Es ist unwahrscheindlich, dass die Steinzeitmenschen genau zwischen 22 und 6 Uhr ihre 8 Stunden am Stück bekamen, sie schliefen wann sie müde waren und es passte. Die Vorstellung, dass ein Baby heutzutage schon mit wenigen Monaten durchschlafen können muss, ist stark von der Industrialisierung geprägt. Nur bei uns wird die regelmässige Schlafenszeit so stark gewichtet, obwohl sie überhaupt nicht „artgerecht“ ist. Wir haben viel zu hohe Erwartungen an unsere Kinder, wenn wir das Gefühl haben, es sollte allein in seinem Bettchen „durchschlafen“ können und vergleichen uns zu häufig mit anderen Familien. Ideal ist es, wenn das Baby in der Nähe der Eltern schlafen darf. Die oberste Priorität beim Co-Sleeping im Familienbett ist natürlich die Sicherheit. Achte darauf, dass das Baby nicht vom Bett herunterfallen oder von der Bettdecke oder Kopfkissen von beiden Seiten zugedeckt werden kann. Eine sichere und gute Alternative ist ein Beistellbettchen. Diese kann man übrigens auch mieten.

Nahrung nach Bedarf
Das Gleiche gilt für die Nahrungsaufnahme. Es ist noch gar nicht lange her, dass jungen Müttern generell empfohlen wurde, das Baby nach einem Zeitschema zu „füttern“. Nur schon der Begriff „füttern“ ist zu hinterfragen – dem Baby Nahrung einzugeben, egal ob es selbst das Bedürfnis danach verspürt oder nicht. Babys geben in der Regel klare Zeichen wenn sie Hunger haben. Genau wie bei uns Erwachsenen ist das mal mehr, mal weniger häufig. Ein Baby mit Hungerbedürfnis warten zu lassen, nur weil es doch erst vor einer Stunde das letzte mal getrunken hat und es daher noch nicht ins Zeitschema passt, ist nicht artgerecht.

Ausscheidungskommunikation
Ein Baby ist bereits ab Geburt fähig, uns mitzuteilen, wann es muss. Das Baby erwartet von uns Eltern, dass wir ihm dabei helfen und es in eine Abhalteposition bringen um ihm die Blasen- oder Darmentleerung zu vereinfachen. Dieses Urbedürfnis ist biologisch tief verankert und seit tausenden von Jahren in der Evolution noch immer da. Wenn wir diese Erwartung nicht erfüllen, akzeptiert es dies nach einer gewissen Zeit oder aber es reagiert deutlich darauf durch Schreien (es steht im Verdacht, dass dies eine Ursache der Drei-Monats-Kollliken sein könnte). Das Baby registriert, dass etwas nicht nach dem biologisch vorgesehenen Schema abläuft. Dies kann danach auch weitere Entwicklungsprozesse beeinflussen. Wir können jedoch die Fähigkeit des Babys nutzen und bereits ab Geburt darauf eingehen und so den Weg zum Trockenwerden verkürzen. Das Steinzeitbaby brauchte keine Windeln und auch keine Spezies auf dieser Welt braucht Windeln.

Entlastungs-Netzwerk
Eine weitere Erscheinung unseres modernen Zeitalters ist der hohe Druck und die Verantwortung die auf den Eltern, häufig auf den Müttern, lastet. Früher hiess es "es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind grosszuziehen". Care Arbeit wurde sich häufig innerhalb einer Gemeinschaft geteilt und ältere Kinder passten auf die Jüngeren auf. Das hat nicht nur den Vorteil, dass ältere Kinder Rücksicht auf die Kleineren üben, sondern auch, dass die Jüngeren von den Grossen lernen. "Ein ganzes Dorf", so wie früher, haben heute nur noch wenige um sich. Jedoch ist es möglich, sich sein eigenes Entlastungsnetzwerk zu schaffen. Das kann der engere Familienkreis sein, die Nachbarschaft oder auch gleichgesinnte Eltern untereinander. So ermöglicht man den Kindern zudem den Kontakt zu anderen Kindern aus verschiedenen Altersgruppen. Sie lernen so gegenseitig ihre sozialen Fähigkeiten auszubauen.

Dies alles sind Bausteine für den bindungsorientierten wie auch artgerechten Umgang mit dem Baby. Daraus folgend kann das Kind schon früh ein elementares Urvertrauen entwickeln. Es fühlt sich sicher, geborgen und wertvoll und kann ein starkes Selbstbewusstsein erlangen.

Die Aussage und Erkenntnis von Jean Liedloff, dass die Erfahrungen eines Babys in der modernen Welt, mit Prägung bis hin ins Erwachsenenalter, hauptsächlich aus „unerfülltem Verlangen“ besteht, können wir verhindern, indem wir versuchen, all diese Bausteine im bindungsorientierten Umgang mit dem Baby bestmöglich umzusetzen.

Die Wichtigkeit des Tragens

Eine einfache und praktische Möglichkeit ist, das Kind ab Geburt an viel zu tragen. Leider wird immer noch viel zu wenig darüber informiert, die Fachgeschäfte sind gefüllt mit Babybetten und Kinderwägen und es gibt viel zu wenig Input zu den verschiedenen Tragen und Tragetüchern, wenn man nicht explizit danach sucht. Dazu kommt, dass auch nicht alle erhältlichen Tragen für jedes Baby und alle Eltern passend sind. Oft geben Eltern nach einem ersten Trageversuch wieder auf, weil die erworbene Trage nicht zum Kind oder zur Trageperson passte und es sich darin unwohl anfühlte. Die häufig falsche Schlussfolgerung: mein Kind möchte lieber im Kinderwagen liegen.

Beratungsangebot

Mit unserem Beratungsangebot ehältst du Unterstützung für die Umsetzung einiger Punkte. Lerne bei einer Trageberatung wie du das Babytragen so einfach wie möglich gestalten kannst. Du lernst die verschiedenen Möglichkeiten des Tragens kennen sowie die für dich und dein Kind geeigneten Tücher oder Babytragen.

Bei der Stoffwindelberatung lernst du ausserdem, wie du im Alltag auf das Ausscheidebedürfnis eingehen kannst. Wie du bemerkst, wann dein Baby "muss" und wie du artgerecht darauf reagieren kannst - mit oder ohne Stoffwindeln als Backup. Bei allen Beratungsangeboten erhältst du zudem hilfreichen Input der „Dunstan Babysprache“ damit du anhand der verschiedenen Babylaute die wichtigsten Grundbedüfnisse deines Babys schnell und richtig erkennen kannst. Hier findest du die Beratungsangebote.

Übrigens fndest du hier im Shop eine Auswahl an inspirierenden Büchern zu genau diesen Themen:

Auf der Suche nach dem verlorenen Glück - Jean Lieldoff
Ein Baby will getragen sein - Evelin Kirkilionis
Was dein Baby dir sagen möchte - Vivian König
Ihr Baby kann's - Rita Messmer
Artgerecht - Nicola Schmidt
Windelfrei, gestillt und getragen - Katrin Hensler