Stoffwindeln fördern das "Trockenwerden"

Lehrer schlagen Alarm, weil viele Schulkinder noch Windeln tragen“. Zurzeit machen diese Schlagzeilen die grosse Runde in der Schweizer Presse. Windeln bis zum Schuleintritt - diese Entwicklung erstaunt mich ehrlich gesagt nicht. Erstaunt bin ich jedoch darüber, dass sich viele dessen gar nicht bewusst sind, dass das Alter des Trockenwerdens immer höher wird. Ich finde es wichtig, dass dieses Thema nun in der Presse behandelt wird. In einigen Artikeln wird allerdings  gegen die Eltern etwas “Bashing“ betrieben. Das ist hier falsch am Platz. Denn die Eltern wollen immer das beste für ihr Kind. Viele sind der Meinung, dass sie besser abwarten mit der Windelentwöhnung bis das Kind dafür bereit ist. Sie möchten es nicht überfordern und auf Druck verzichten. Den Eltern wird von Medizinern eingetrichtert, dass Babys angeblich noch gar kein Bewusstsein für deren Ausscheidungen haben und man deshalb erst im Alter von 2-3 Jahren mit dem Töpfchen starten kann. Und das Alter wird laufend nach oben korrigiert. Doch das stimmt nicht, weil dann würde das bereits sehr verbreitete „Abhalten bereits ab Geburt mit Ausscheidungskommunikation“ gar nicht funktionieren. Das Problem ist, dass sich viele Eltern dieser Möglichkeit gar nicht bewusst sind. Und ein wesentlicher Faktor sind auch die so sehr saugstarken Wegwerfwindeln, mit denen das Kind seine eigenen Ausscheidungen gar nicht mehr richtig wahrnehmen kann. Die Verknüpfung für die Entwicklung zum Trockenwerden und die Impulskontrolle wird so kaum aufgebaut. Deshalb – bitte keine Diskriminierung von Eltern! Besser ist, Eltern sowie auch öffentliche Betreuungseinrichtungen wie KiTas über die Auswirkungen der Wegwerfwindeln aufzuklären. Ich versuche nun mit diesem Blogartikel etwas Klarheit darüber zu schaffen.

Ein Baby ist sich seiner Ausscheidung ab dem ersten Tag bewusst

Jedes Baby zeigt ab Geburt durch Zeichensprache, dass es mal muss. Es ist ein Grundbedürfnis wie Hunger oder Schlaf. Ein Baby scheidet anfänglich sehr oft am Tag aus, hat aber auch sehr oft Hunger und schläft viel. Auf die letzteren beiden Bedürfnisse reagieren wir wie selbstverständlich. Doch auf das Ausscheidungsbedürfnis gehen wir kaum ein, da wir dem Baby eine Windel anziehen. Durch die Windel nehmen wir als Eltern das Ausscheiden des Babys kaum war. Wir haben verlernt, wie die Ausscheidungskommunikation mit dem Baby funktioniert. Wusstest du, dass bei ungefähr nur 20% der Weltbevölkerung Babys Windeln tragen? Die anderen 80% wachsen von Geburt an ohne Windeln auf. Insbesondere bei den Bewohnern in Schwellenländern und Naturvölkern ist es selbstverständlich, dass Babys über einem Topf oder hinter einem Gebüsch abgehalten werden. Auch in unserer westlichen Kultur war es früher normal, Babys ab Geburt über einem Topf oder dem Waschbecken ihr Geschäft erledigen zu lassen. Mit dem Einzug der Wegwerfwindel in den 60ern Jahren, ging das Wissen rund um die natürliche Säuglingspflege verloren. In den Lehrbüchern der Schulmedizin steht inzwischen, dass Babys gar kein Bewusstsein für deren Ausscheidungen haben und erst mit 2-3 Jahren fähig sind, die Blasenkontrolle zu beherrschen. Das ist nun das Ergebnis davon.

Superabsorber in der Windel verhindert Wahrnehmung der Ausscheidung

Im Saugkern der Wegwerfwindel befindet sich der sogenannte Superabsorber, der aus viel Chemie und Kunststoffkügelchen besteht, die sofort aufquellen, sobald sie mit Flüssigkeit in Kontakt kommen. Der Urin wird sofort absorbiert. Das Kind spürt deshalb in der Wegwerfwindel kaum, wenn es uriniert. Es wird etwas warm, das sogar als angenehm empfunden wird. Die Windel fühlt sich oberflächlich immer trocken an. Die Entwickler der Wegwerfwindeln haben es eigentlich gut gemeint, doch langfristig ist es absolut nachteilig fürs Kind. Es ist biologisch so vorgesehen, dass wir Nässe als unangenehm empfinden. Das Nässefeedback ist sehr wichtig im Bezug aufs Trockenwerden, damit die Verknüpfung zwischen Ausscheidungsorganen und Gehirn entstehen kann. Ohne das Gefühl des „Nasswerdens“ wird es wirklich schwierig. Ein grosses Problem ist auch, dass das Kind mit der Wegwerfwindel lernt, dass es immer und überall pinkeln kann und die volle Windel sich danach gar nicht störend anfühlt. So wird es nicht dazu animiert, einhalten zu können. Die Schliessmuskeln bilden sich zu wenig aus und auch das Füllvolumen der Blase entfaltet sich nicht richtig. Diese Fakten können wirklich zu einem grossen Problem führen wenns ums Trockenwerden geht.

Viele Eltern warten zu lange ab

Das Thema ist unbestritten nicht ganz eifach. Wir als Eltern möchten auf keinen Fall Druck aufs Kind aufbauen. Das wäre falsch und nicht zielführend. Doch wir dürfen auf keinen Fall die Verantwortung fürs Trockenwerden dem Kind überlassen und so lange warten, bis es selber den Wunsch äussert, aufs Töpfchen zu gehen. Ich plädiere dafür, so oft und so früh wie möglich die Wegwerfwindel wegzulassen. Dem Kind so viel wie möglich die Möglichkeit geben, seine Ausscheidungen selber wahrnehmen zu können. Besonders die Wahrnehmung des Urins. Denn nur so kann die Verknüpfung zwischen Blase, Schliessmuskel und Gehirn aufgebaut werden. So können wir dem Kind die Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit überhaupt ermöglichen. Das kann ganz stressfrei erfolgen. Gerade im Sommer hast du die beste Voraussetzung dafür, dein Baby oder Kleinkind draussen mal ganz ohne Windel zu lassen. Und wenn du zudem auf moderne Stoffwindeln umsteigst, hat dein Baby auch mit Windeln die Möglichkeit, seine Ausscheidungsvorgänge wahrzunehmen.

Nässefeedback dank den „modernen Stoffwindeln“

Hast du dir auch schon mal überlegt, schrittweise auf die ökologischen und modernen Stoffwindelsysteme umzusteigen? Ganz ehrlich: Sie sind heute so einfach in der Handhabung wie Wegwerfwindeln. Das Waschen ist einfach und auch gar nicht täglich notwendig. Du lagerst die nassen Windeln in einem verschliessbaren Wetbag, den du nach 3 Tagen mitsamt dem Inhalt bei 60°, Vollwaschmittel und Vorwaschprogramm wäschst. Wenn du dir Sorgen machst um die Handhabung mit dem Stuhlgang, kann ich dich beruhigen. Entweder du verwendest ein Wegwerfvlies, mit dem du den Stuhlgang entnimmst und diesen in die Toilette wirfst, oder du verwendest Windeln mit einer Oberfläche aus Fleece, von dem sich der Stuhlgang sehr gut ins WC abschütteln lässt. Der Rest kommt in den Wetbag – statt in den Windeleimer. Es gibt wirklicht nichts, das dagegen spricht. Schöner und auf die Dauer günstiger sind sie auch. Und das beste: Dein Baby hat keine Chemie am Po, ganz viel Luft und es erhält bei jedem Pinkeln ein Nässefeedback. Es wird dir signalisieren, wenn es nass wurde. Das fördert die Kommunikation im Bezug aufs Ausscheiden, wir als Eltern nehmen es wahr und wir sind somit auf dem besten Weg, dass das Kind dank dieser Kommunikation schon bald aufs Töpfchen geht.

Kinder brauchen druckfreie Unterstützung beim Trockenwerden

Wenn dein Kind mehrere Jahre permanent Wegwerfwindeln getragen hat, darfst du nicht erwarten, dass es von einem auf den anderen Tag trocken wird. Wie oben erwähnt, wurde durch den Superabsorber die Wahrnehmung des Urinierens gehemmt. Es ist wichtig, dass du täglich windelfreie Zeitfenster einbaust und dem Kind die Möglichkeit gibst, sein Ausscheiden wahrzunehmen. Du kannst den Prozess unterstützen, indem du die Wegwerfwindel durch Stoffwindeln ersetzt. Es gibt auch sogenannte Training-Pants, welche das Kind selber hoch und runterziehen kann, wie die Pull-Up-Pants der Wegwerfwindeln. Ich rate dringend von der Wegwerfvariante ab, denn auch diese beinhalten einen Superabsorber und hemmen die Wahrnehmung.

Hier ein paar Tipps fürs Trockenwerden:

  • Sei Vorbild für dein Kind, nimm es mit zur Toilette wenn du selber dort hin gehst.

  • Stelle sein Töpfchen ins Wohnzimmer oder dorthin, wo es gerade spielt, damit es dies in Sichtweite hat.

  • Gestalte den Töpfchenplatz schön gemütlich mit Töpfchenlektüren. Es gibt so tolle Kinderbücher zu diesem Thema.

  • Vermeide ein Belohnungssystem. Das Kind soll es aus seinem Willen lernen und nicht, weil es dies mit einer Belohnung verbindet.

  • Unbedingt dran bleiben, oft braucht es Geduld und Zeit. Und denk immer dran – lass es die Nässe spüren, nur so kann es dies lernen. Lass deshalb die Wegwerfwindel weg! 

Reaktion bei Erfolgen oder Misserfolgen ist massgebend

Vermeide ein überschwängliches Reagieren, wenn etwas mit Erfolg im Töpfchen landete. Vermeide aber auch heftige negative Reaktionen, wenn etwas in die Hose oder auf den Boden ging. Ignorieren solltest du es aber auch nicht. Reagiere immer möglichst neutral und ohne Wertung, z.B. „oh das Pipi ist am Boden, das gehört aber ins Töpfchen. Das nächste Mal klappts!“ oder „Du hast das Pipi ins Töpfchen gemacht!“. Vermeide wertende aussagen wie „oh nein, jetzt hast du schon wieder in die Hose gepinkelt“ oder „du hast das super gemacht, dein Pipi ist im Töpfchen“. Dein Kind soll nicht die Erfahrung machen müssen, dass es selber gut oder schlecht ist, abhängig davon wo sein Pipi landete. Das wäre nicht zielführend.

Tipps für eine gute Prävention, damit dein Kind nicht bis ins Schulalter Windeln braucht:

  • Die Eltern haben die Verantwortung, ob und wann das Kind zum Trockenwerden begleitet wird. Es liegt nie in der Verantwortung des Kindes.

  • Je länger dein Kind Wegwerfwindeln trägt, umso schwieriger kann es werden, von ihnen loszukommen.

  • Starte möglichst früh mit der Ausscheidungskommunikation, am besten bereits in den ersten drei Monaten ab Geburt. Aber auch später ist es nicht zu spät – starte jetzt!

  • Verwende moderne Stoffwindeln und vermeide die Wegwerfwindel mit dem stark saugenden Superabsorber so oft wie möglich. Sorge stets für ein Nässefeedback.

  • Versuche, nicht wertend zu reagieren, wenn dein Kind in die Hose/auf den Boden oder mit Erfolg ins Töpfchen gepinkelt hat. Bleibe immer in Kommunikation, aber stets neutral.

  • Bleibe dran, es braucht Geduld und viel Einfühlungsvermögen. Übe kein Druck aus, es braucht Zeit und das Verständnis, dass es zuerst die Verknüpfung machen muss durch die Erfahrung des Nässegefühls. Besonders, wenn du es bis jetzt hauptsächlich mit Wegwerfwindeln gewickelt hast.

 

Eines ist mir ganz wichtig: Ich werte nicht, ob Eltern mit Stoff- oder Wegwerfwindeln wickeln. Die meisten Eltern sind sich nicht bewusst, welches Problem Wegwerfwindeln verursachen können, gesundheitlich wie auch ökologisch. Sie wissen auch nicht, wie einfach die Alternative, die modernen Stoffwindeln, heute sind und haben eine falsche Vorstellung. Oder sie werden quasi zur Wegwerfwindel gezwungen, da die KiTa die Stoffwindel ablehnt (meist auch durch diese gleichen Vorurteile). Ich versuche hier, den besseren Weg zu zeigen. Du hast auch immer die Möglichkeit, beides zu kombinieren.

Lass dich von mir beraten, wenn du die Stoffwindeln oder Training-Pants ausprobieren möchtest. Ich vermiete auch Test-Sets. Bei Fragen kannst gerne mit mir Kontakt aufnehmen.

 

Wissenschaftliche Studien zu diesem Thema:

Study EE EC primary enuresis 2019
Study urinary bladder control during the first 3 years 2013
Study effects of Early Toilet Training and Elimination Communication With Respect to Diaper Types 2023

 

Bildquelle: Hinzling.de